Zur Himmelsscheibe von Nebra
Metalltechnologie der frühen Bronzezeit im Nachvollzug
Claus-Stephan Holdermann u. Frank Trommer- Einführung
- Problemstellung
- Durchführung
- Das Anfertigen originalgeteuer Werkzeuge
- Das Gießen eines Scheibenrohlings
- Das Dehnen und Strecken dieses Rohlings auf die Maße der Orginalscheibe
- Die Tauschierplattierung der Motive auf der Scheibe
- Resümee
- Abbildungsnachweis
- Bibliographie
Einführung
Abb.1 Die Himmelsscheibe von Nebra (Burgenlandkreis/Sachsen-Anhalt)Einer der wichtigsten archäologischen Bodenfunde des letzten Jahrhunderts ist die 1999 entdeckte Himmelsscheibe von Nebra (Burgenlandkreis/Sachsen-Anhalt) (Abb.1). Die mit goldenen Himmelsmotiven verzierte Bronzescheibe wurde vor etwa 3600 Jahren zusammen mit Schwertern, Schmuck und anderen Werkzeugen, auf dem Mittelberg bei Nebra niedergelegt (MELLER 2004, 22 - 31). Derzeit wird sie in Fachkreisen als eine der ältesten metallzeitlichen Darstellungen des Kosmos weltweit gewertet. Ihr Durchmesser schwankt zwischen 31 cm und 32 cm. Die Dicke der Scheibe nimmt von außen nach innen, von etwa 1,5 mm auf etwa 4,5 mm, zu. Ihr jetziges Gewicht liegt bei 2050 g.
Auf der Scheibe waren 37 Goldbleche mit einer Dicke von ca. 0,4 mm angebracht. Sie werden als Sonne, Mond und Sterne, dazwischen liegend die Plejaden, sowie als 2 Horizontbögen, gedeutet. Der Rand der Scheibe ist umlaufend mit mindestens 38 etwa 2,5 mm messenden, von der Vorderseite her angebrachten Lochungen versehen. Die Himmelsscheibe ist aus einer weichen Bronze, einer Kupfer/Zinn-Legierung mit einem Zinngehalt von ca. 2,5 %, gefertigt worden (WUNDERLICH 2004, 38).
Problemstellung
Die Arbeitsgruppe Prähistorische Metall Technologie (APMT) befasst sich seit geraumer Zeit mit prähistorischer Bronzegusstechnik, mit Verfahren zur Herstellung von Bronzewerkzeugen, sowie deren Anwendung in Experiment. Von dem oben genannten bisher einzigartigen Fund ging für uns ein besonderer Reiz aus. In diesem Zusammenhang konnten wir unser Wissen zur prähistorischen Bronzetechnologie und ihrem experimentellen Nachvollzug zu archäologischen Werkzeugfunden und ihrem Nachbau sowie ihrem Gebrauch im archäologischen Experiment kombinieren. Im Vordergrund stand hierbei der Werkstoff Bronze mit seinen steuerbaren Materialeigenschaften. So möchten wir in diesem Rahmen auf eine Detaildarstellung des im Hinblick auf die bronzezeitliche Metallverarbeitung immer noch sehr lückenhaften archäologischen Kontextes verzichten und uns im Wesentlichen auf Ausführungen ausgewählter technologischer Aspekte beschränken.
Im Zuge verschiedenster Versuche, insbesondere im Rahmen der Werkzeugherstellung und -benutzung, konnte eine Modellvorstellung erarbeitet werden, die Hinweise und Antworten zu verschiedenen Fragen rund um die Fertigungsprozesse der Himmelsscheibe von Nebra liefern kann. Es kam uns insbesondere darauf an, den Werkstoff Bronze gezielt und funktionsorientiert für bestimmte Werkzeuge und Fertigungsschritte einzusetzen. Hieraus resultierten u.a. verschiedene Legierungen für unterschiedliche Werkzeuge in unterschiedlichen Fertigungsphasen.
Durchführung
Der Fertigungsprozess der Scheibe besteht im Wesentlichen aus vier Hauptarbeitsschritten: Dem Anfertigen möglichst originalgetreuer Werkzeuge, dem Gießen eines Scheibenrohlings, dem Dehnen und Strecken dieses Rohlings auf die Maße der Originalscheibe und dem Anbringen (Tauschierplattierung) der verschiedenen Motive auf dem Werkstück.
Als grundsätzliche Arbeitsweise hielten wir es für ratsam, uns schrittweise den Arbeitstechniken des bronzezeitlichen Handwerkers und Künstlers anzunähern. Die Vorstufen zu dem hier beschriebenen Verfahren bestanden aus Arbeiten mit modernen Maschinen, darauffolgend mit einfachen Stahlwerkzeugen und mit modern legierten Bronzen. Als Endergebnis legen wir folgenden Bericht über das Arbeiten mit dem hier beschrieben Werkzeug und Material vor.
Auf die Herstellung der goldenen Motive soll in diesem Rahmen nicht eingegangen werden, da der Werkstoff Bronze im Vordergrund steht. Für die technischen Aspekte der Gussvorbereitungen und Gussdurchführung sei vorerst auf bereits erschienene Artikel verwiesen (GIESE et al. 2002). Eine detaillierte Darstellung dieser Aspekte sowie der benötigten Arbeitsmaterialien (z.B. Holzkohle, Bronzebarren, etc), des aufgewendeten Arbeitseinsatzes, der Menge der Arbeitskräfte und der Zeitbedarf, befindet sich in Vorbereitung (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.).
Es sei nur darauf hingewiesen, dass eine Bronzeschmelze von etwa 2 kg ein Volumen von ca. 225 cm³ einnimmt. Da durch verschiedene Arbeitsprozesse Material verloren geht (s.u.), ist davon auszugehen, dass die Masse der Schmelze und damit auch das Volumen, das der fertigen Scheibe übertraf. Zum Masseverlust können, wie unsere Versuchsreihen gezeigt haben, jedoch keine verbindlichen Richtwerte angegeben werden. Komplett erhaltene Schmelztiegel aus der frühen Bronzezeit, die ein Volumen von etwa 400 cm³ fassen würden, sind unseres Wissens bisher nicht in archäologischen Kontexten überliefert worden. Ältere kupferzeitliche Schmelztiegel der Pfyner Kultur z.B. mit einem Volumen von 125 cm³ (Schreckensee, Kr. Ravensburg/BRD) oder 135 cm³ (Bodmann, Kr. Konstanz/BRD) belegen bereits, dass diese Tiegel theoretisch 1,1kg bzw. 1,2 kg Kupfer hätten fassen können (Dichte einer Bronze mit etwa 2,5 Zinn ca. 8,85 g/cm³), wenn sie randvoll gefüllt worden wären (SCHLICHTHERLE u. ROTTLÄNDER 1982, 69). Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass das Volumen eines Schmelztiegels nicht komplett ausgenutzt werden kann, da ein sicheres Ausgießen eines randvollen Tiegels nicht möglich ist und auch die Handhabung des Tiegels mit bronzezeitlichem Werkzeug dies nicht zulässt. Beim Gießen zeigt sich, dass ein Gusstiegel maximal bis etwa zu ¾ seiner Höhe gefüllt sein sollte.
Auch, wenn ein gleichzeitiger Guss mittels mehrerer kleiner Tiegel bei einem eingespielten Team durchaus denkbar wäre, gehen wir davon aus, dass ein einzelner Tiegel verwendet wurde. Ägyptische Abbildungen belegen für das 15. Jahrhundert vor Christus Tiegelgrößen, die im Schmelzfeuerbetrieb nur von zwei Personen gehandhabt werden konnten (z.B. SONNENSCHEIN 1985, 12). Obwohl das Volumen dieser Tiegel unbekannt bleibt, kann aus der Darstellung gefolgert werden, dass die Masse des abgebildeten Gusses die der fertigen Himmelsscheibe wahrscheinlich überschritten hat. Hierauf aufbauend verwendeten wir jeweils einen Tiegel, der Bronzeschmelzen mit Massen zwischen 3 kg und 3,5 kg aufnehmen konnte. Für die Tiegel wurden unterschiedliche Tonmischungen ausprobiert (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.), aber auch industriell hergestellte Graphittontiegel verwendet.
Der in den Versuchen benutzte Lehmofen besteht aus einer schüsselartigen Mulde mit einer auf Bodenhöhe liegenden Düsenöffnung, wie er von uns seit vielen Jahren für das Gießen von Bronze in prähistorischen Verfahren verwendet wird. Bereits an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass nach seiner Nutzung nur ein kleiner verschlackter Bereich eines aus Lehm aufgebauten Schmelzofens den Witterungsbedingungen standhält. Die Überlieferungschancen für einen bronzezeitlichen Ofen in einem interpretierbaren Erhaltungszustand sind somit äußerst gering (FASNACHT 1991, 3-4). Hieraus resultiert wohl auch der Umstand, dass unser Wissen über den Aufbau bronzezeitlicher Schmelzöfen nur als rudimentär bezeichnet werden kann. Wir nehmen an, dass aufgelassene Bereiche der Öfen recycelt wurden, oder wenn sie gebrannt waren, als Schamott-Zusatz für Gussformen und Gusstiegel wiederverwendet wurden. Ein Vorgang der nicht nur ökonomisch, sondern, wie die Erfahrung gezeigt hat (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.), auch technologisch sinnvoll ist.
Da bei unseren Versuchen die Optimierung des Gussformenmaterials, der Ausmaße der Rohscheibe und die Weiterverarbeitung der Werkstücke mit Bronzewerkzeugen im Vordergrund stand, griffen wir zum Aufschmelzen der Bronze im Wesentlichen auf eine neuzeitliche Esse zurück. Erst nachdem für uns technologischen Aspekte im Zusammenhang mit Gussformen und Gusstiegeln geklärt waren, wurden einige Schmelzvorgänge mit Hilfe eines einfachen Lehmofens durchgeführt. So konnten Zeit- und Arbeitsaufwand realistischer eingeschätzt werden (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.).
Das Anfertigen originalgetreuer Werkzeuge
Der erste Schritt unseres Produktionsprozesses bestand in der Fertigung der benötigten Werkzeuge. Bronzezeitliche Bronzewerkzeuge, die in einem ursächlichen Kontext mit der Weiterverarbeitung von Metall, insbesondere Bronzegegenständen zu stellen sind, sind sehr selten überliefert. Sie unterliegen z.T., wenn es sich um nachzuschärfende Werkzeuge wie Meißel und Stichel handelt, starkem Verschleiß (s.u.). Somit erscheint ein zügiges Recycling dieser schnell abgearbeiteten Stücke wahrscheinlich, womit wir gerne ihr geringes Auftreten in archäologischen Kontexten erklären möchten (z.B.: „Fürstengrab“ von Leubingen, BERTEMES 2004, 145). Darüber hinaus sind diese Stücke seltene Werkzeuge von Spezialisten und abgesehen von Hämmern und Ambossen, auch schwer als Werkzeuge aus metallhandwerklichen Zusammenhängen zu identifizieren. Genaugenommen kann erst nach einer metallurgischen Untersuchung und dem Nachweis einer ausreichenden werkzeugtechnischen Eignung. Im hier behandelten Zusammenhang heißt dies, dass ein erhöhter Zinnanteil und möglicherweise der Nachweis eines Härtevorganges durch kaltes Überschmieden der schneidenden, spanabhebenden oder verdrängenden Werkzeuge, vorliegen müsste.
Abb.2 Tüllenhämmer, Stichel, Meißel, Punzen der späten Bronzezeit (Urnenfelderzeit) und ‚Holzschraubstock‘Aus der späten Bronzezeit sind Ambosse, Hämmer, Meißel, Stichel und Punzen überliefert (z.B.: BORN u. HANSEN 2001, 229, Abb.174-175, JOCKENHÖVEL 1986, 566, Abb.1,4-1.5, OHLHAVER 1939, 103-111, Taf.1-Taf.6). Werkzeugdepots wie der Befund von Génelard (Saône-et-Loire/Frankreich) (MOHEN 1988, 37) belegt für diese Zeitstellung einen hohen Grad an Spezialisierung. An diesen zum Alter der Scheibe also chronologisch jünger einzustufenden Werkzeugformen orientierten sich die Verfasser, um dem ursprünglichen ‚Werkzeugkasten‘ des frühbronzezeitlichen Handwerkers möglichst nahe zu kommen (Abb.2).
Abb.3 Kleiner Bronzeamboss und großer BronzehammerDer von uns nach einem Vorbild aus der Schweiz (Wollishofen/Kt. Zürich, OHLHAVER 1939, Taf.4, oben) nachgegossene Amboss (Abb.3) erwies sich aufgrund seiner geringen Masse für die hier durchgeführten Treibarbeiten als zu instabil. Er wurde durch einen Steinamboss (Abb.4) aus kompaktem Gestein, ein ausgewähltes Amphibolithgeröll aus dem Inn bei Kematen (Tirol) mit 16 kg Masse auf einem stabilen Buchen-Holzklotz, ersetzt.
Abb.4 Ausschmieden der Rohform mit dem Bronzehammer auf dem SteinambossHierbei orientierten wir uns an den sogenannten Kissensteinen, kleinen als Ambossen gedeuteten, zumeist kissenförmigen Steinen aus geschlossenen archäologischen Kontexten (s.: z.B. BERTEMES 2004, 145, 147). Jedes andere kompakte und homogene Gestein (z.B. Basalt) wäre auch zu benutzen gewesen, vorausgesetzt es entstünde während des Ausschmiedens kein Abrieb am Gestein, da dieser sonst in die Scheibe eingearbeitet worden wäre. Fremdgesteinspartikel sind im Zusammenhang mit den Untersuchungen des Originals jedoch nicht erwähnt worden.
Nachdem die Originalscheibe aus einer Bronze mit etwa 2,5% Zinngehalt gefertigt worden ist, musste für die härteren Bronzen der spanabhebenden, schneidenden und verdrängenden Werkzeuge (Punzen, Stichel und Meißel) ein höherer Zinnanteil verwendet werden. (Siehe Schaubilder 1 und 2).
Schaubild 1. Härte (HB) Zugfestigkeit (ΟB) Dehnung (δ) einer Kupfer-Zinnbronze mit steigendem Zinngehalt
Schaubild 2. Verformung in %
Schaubild 1. für den Zusammenhang einer steigenden Härte von Zinnbronzen durch steigenden Zinngehalt
Schaubild 2.Verfestigung einer Kupfer-Zinnbronze mit etwa 10 % Zinn durch Kaltverformen
Die Bandbreite der Mischungsverhältnisse dieser Werkzeuge lag zwischen 12 - 17% Zinn und 83 - 88% Kupfer. Unterschritten wir den Varianzbereich des zugefügten Zinns, so verloren die Werkzeuge die Standzeit ihrer Schneiden sehr schnell, überschritten wir ihn, wurden die schneidenden Kanten deutlich spröder. Die Gefahr eines ausbrechenden Schneidenbereichs, insbesondere bei den Sticheln, erhöhte sich. Nach dem Guss wurden die Werkzeuge geschliffen und Schneidebereiche vor dem Schärfen ebenso wie die Laufflächen der Hämmer kalt schmiedend verfestigt.
Das Gießen eines Scheibenrohlings
Durch die Beschaffenheit vieler Bronzefunde sind schon für die frühe Bronzezeit die Verfahren des Kokillengusses belegt. Beim Kokillenguss werden zwei Formhälften mit aufeinanderpassenden Negativen verwendet, während beim verdeckten Herdguss das Negativ nur in eine Formenhälfte eingearbeitet wird und mit der anderen Formhälfte, die glatt bleibt, nur abgedeckt oder abgezogen wird. (JOCKENHÖFEL 1994, 38/ VELTEN 1941, 48).
Bei einem einseitigen Kokillenguss, bei dem das Negativ nur in eine Formhälfte gearbeitet ist und die zweite Hälfte nur zur Abdeckung dient, wird das flüssige Metall immer in die aufrecht stehende Kokille gegossen.Dies hat neben 2 sauberen Oberflächen den Vorteil, dass immer im oberen Eingussbereich die dort auftretenden Lunker meist im abzutrennenden Gusszapfen liegen.
Abb.5 Oberfläche eines Gusskuchens, aus offenem HerdgussGegenüber dem oft prognostizierten Guss in offenen Formen (offener Herdguss), bei dem die Gussspeise in eine Form gegossen wird, die nicht abgedeckt ist, liegt der entscheidende Vorteil dieser Methoden darin, dass bei einem flachen, scheibenförmigen Werkstück zwei plane Oberflächen ohne störende Oxydschicht entstehen. In der offenen Form bildet sich, an der dem Sauerstoff ausgesetzten Seite des Gusses, eine Oxydschicht mit rauer ‚milchhautartiger‘ Oberfläche (Abb.5).
Diese kann durch ein zügiges ‚Deckeln‘ der Form, wie es beim verdeckten Herdguss geschieht, direkt nach dem Guss nur teilweise verhindert werden. Hinzu kommt, dass sich das Werkstück beim Erkalten in einer offenen Form, aber auch bei einer gedeckten offenen Form an der oben liegenden Oberfläche aufgrund des Volumenverlustes des abkühlenden Metalls, einzieht.
Abb.6 Ausgeschmiedeter Gusskuchen aus einem offenen HerdgussEs entwickelt sich eine nach unten gerichtete Wölbungstendenz, die im aufrecht stehenden Kokillenguss (Abb.7 a) innerhalb des Eingussbereichs und nicht im eigentlichen Zielprodukt verläuft. Hervorzuheben bleibt weiterhin, dass eine Oxydschicht an der Oberfläche des Werkstückes im Zuge des Ausschmiedens der Scheibe (s.u.) deutliche Fehlstellen und Unreinheiten hervorrufen würde. (Abb.6)
Abb.7a Guss eines Scheibenrohlings bei etwa 1200°C (Specksteinform)Am Original sind diese nicht vorhanden. Hieraus ist zu folgern, das diese Oxydschicht bei Anwendung des Verfahrens des offenen Herdgusses vorher entfernt worden sein müsste, was jedoch einen unnötigen Materialverlust und Zeitaufwand bedingt hätte. Da das technische Konzept des Kokillenguss als bekannt vorausgesetzt werden kann, erscheint uns seine Anwendung (Abb.7 a) aus den oben skizzierten Gründen plausibler.
Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Standhaftigkeit eines Gussformenmaterials maßgebliche Faktoren für die Auswahl des Gussformenmaterials sind (weiterführend: HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.).
Hierbei wird möglicherweise auch noch der Aufwand eine Rolle gespielt haben, der nötig war, um die gewünschte Form herzustellen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Himmelsscheibe ein Unikat ist, so sollte die Standhaftigkeit des Formenmaterials keine zu große Rolle gespielt haben. Da die Oberfläche des Gusses auf beiden Seiten bearbeitet wird, muss auch der Aspekt der Oberflächenbeschaffenheit des Rohgusses keine wesentliche Rolle bei der Auswahl des Formenmaterials gespielt haben.
Gussformen aus Stein sind in Europa nachweislich vom ausgehenden Neolithikum (Glockenbecherzeit) an bis hin zu historischen Perioden (DRESCHER 1962, 817, BORN u. HANSEN 2001, 225, Abb.167, DRESCHER 1973, 48-62, RESI 1979, 58-67) benutzt worden.
Abb.7b offene Gussform mit GusskuchenWir verwendeten für unsere Formen Varietäten spezieller Sand- und Specksteine (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.) mit hoher Standhaftigkeit, da im Rahmen verschiedener Versuchsreihen das wiederholte Gießen ein und derselben Form beabsichtigt war. Es konnten schließlich Scheibenrohlinge mit etwa der Masse der Originalscheibe (ca.2,25 kg) und einem Maximaldurchmesser von etwa 19 cm gegossen werden. Ihre Stärken liegen bei etwa 5 mm am Rand bis zu ca.10 mm im Zentrum (Abb.7 b).
Der Zinnanteil der von uns gegossenen Rohlinge lag zwischen 2,5 und 4 %. Flachere Scheiben ließen sich mit dem von uns benutzten Formmaterialien nicht herstellen, da die Bronze bei ihnen unvollständig auslief. Versuche mit keramischen Formmaterial in der Technik der ,Verlornen Form' (s.: GIESE et al. 2002, 93) wurden nicht durchgeführt. Nach unseren Erfahrungen in anderen Zusammenhängen (HOLDERMANN u. TROMMER i. Vorb.) sollte der erfolgreiche Bronzeguss eines dünnen flächenen Metallkörpers mit den oben beschriebenen Maßen jedoch auch in keramischem Formmaterial möglich sein.
Das Dehnen und Strecken dieses Rohlings auf die Maße der Originalscheibe
Für die auf den Guss folgenden Treibarbeiten fanden der oben erwähnte Steinamboss und verschiedene Bronzehämmer Verwendung (Abb 2.). Steinhämmer, im Sinne der bekannten Rillenschlägel (WEISGERBER 1993, 27, Abb.19-20) wurden bei den hier beschriebenen Versuchsreihen aufgrund ihres schlechten Masse/Volumen Verhältnisses und ihrer schlechten Standhaftigkeit nicht benützt. Auch ein Bronzehammer aus einer größeren Masse von annähernd 9 kg (PROBST 1996, 389), der von uns nachgearbeitet wurde (Abb. 3), kam hier nicht zur Anwendung, da dieser unter seinen Schlägen den sonst stabilen Steinamboss zertrümmern würde. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sollen an anderer Stelle beschrieben werden (HOLDERMANN u. TROMMER i.Vorb.).
Die wesentlichen Arbeiten wurden mit einem Hammer von 2 kg Gesamtmasse durchgeführt, wobei der bronzene Hammerkopf ca. 1,1 kg wog. In unseren Versuchsreihen fand die Verdrängung des Metalls von der Scheibenunterseite her durch die gewölbte Oberfläche des Steinambosses statt. Hierbei arbeiteten wir mit relativ planen Hammerbahnen. Diese Arbeitsweise war durch die Form unseres Steinambosses (Geröll) bestimmt. Arbeitsgänge auf einem planen Amboss würden stark gewölbte Hämmer voraussetzen, was sich bei den vorbereitenden Versuchen auf einem Metallamboss zeigte. Es ließ sich nicht vermeiden, dass die Werkstücke in ihren Randbereichen ,verliefen' und somit nach einigen wenigen Arbeitsgängen einen ungleichmäßig leicht gewellten Rand aufwiesen. Um ein völliges ,Ausbrechen' des beabsichtigten runden Umrisses zu vermeiden, mussten die Konturen wiederholt rund geschliffen werden, wobei erneut ein Masseverlust eintrat.
Da bisher aus archäologischen Fundzusammenhängen dieser Zeitstellung keine Bronzezangen bekannt sind, gehen wir davon aus, dass der Scheibenrohling kalt ausgeschmiedet wurde. Hierbei stützen wir uns auch auf unsere Erfahrungen, nach denen es nicht möglich ist, einen heißen Metallkörper während des mit großem Kraftaufwand ausgeführten Schmiedevorganges mit organischen Zangen aus Holz, Knochen und Geweih, exakt und sicher zu führen.
Um dem Werkstoff die bei der Treibarbeit entstehenden Spannungen zu nehmen, muss das Material nach jedem Arbeitsvorgang, der die komplette flächige Überarbeitung des Werkstückes beinhaltete, auf etwa 500°C - 700°C erhitzt werden. Dieser Vorgang des Zwischenglühens lässt sich auch am Original durch das metallographische Gefügebild der Himmelsscheibe nachweisen (WUNDERLICH 2004, 38).
Abb.8 Verschiedene Phasen der TreibarbeitDie empirische durchschnittliche Vergrößerung des Durchmessers der Scheibe liegt bei etwa 0,2 cm pro Ausschmiedevorgang, wobei der Zuwachs jeweils abhängig ist von der Größe der bereits vorliegenden Oberfläche des Werkstückes. Unsere Versuchsreihen beinhalteten etwa 30 Ausschmiedevorgänge mit den oben skizzierten Werkzeugen. Danach setzten die Autoren den Arbeitsprozess aus Zeitgründen mit modernen Werkzeugen bis zum Erreichen der Maße des Originals fort. Hierbei legten wir Wert darauf, dass die Arbeitsschritte mit den beschriebenen Bronzewerkzeugen an manchen Scheiben zu Beginn des Ausschmiedens durchgeführt wurden, an anderen Scheiben wurden diese Arbeiten in die Endphase der Treibarbeit verlegt, um auftretende Arbeitsspuren genauer beobachten und dokumentieren zu können. Um einen unserer Rohgüsse von etwa 19 cm Durchmesser auf die Maße der Originalscheibe (ca. 32 cm) zu strecken, dürften nach unseren Hochrechnungen 60 bis 70 Arbeitszyklen, d.h. jeweils ein Ausschmieden der kompletten Oberfläche der Scheibe und ein etwa halbstündiger Glühvorgang im Holzkohlenfeuer, nötig gewesen sein. (Abb. 8).
Der gesamte Schmiedeprozess würde nach unseren Schätzungen etwa 20 bis 25 Stunden dauern, wobei die Glühphasen nicht darin einbezogen sind. Bei sorgfältiger Führung des Hammers können in diesem Arbeitsprozess glatte Oberflächen geschaffen werden, die ein abschließendes Überschleifen der Oberfläche nicht nötig machen.
Die Tauschierplattierung der Motive auf der Scheibe
Abb.9 Anreißen der Konturlinien mit einem BronzemeißelDer letzte Arbeitsschritt besteht im Anbringen der verschiedenen goldenen Motive, Sterne, Monde etc. (Abb.1) auf der bronzenen Scheibe. Sie wurden in der für die frühe Bronzezeit Mitteleuropas unüblichen Technik der Tauschierplattierung angebracht. Hierbei wird ein aufliegendes Material im Gegensatz zur Tauschiertechnik nicht in eine Vertiefung eingehämmert, sondern unter einer leicht unterschnittenen Wulst des Grundmaterials eingeklemmt. Kombinationen verschiedener Metalle an einem Werkstück müssen in der frühen Bronzezeit nicht zwingend unüblich gewesen sein, auch wenn sie selten durch Bodenfunde belegt werden konnten. So sind z.B. auch in das frühbonzezeitliche (Bz A2) Bronzebeil aus Renzenbühl (Thun/Schweiz) zwei kupferne Bänder eingelegt worden, in die wiederum zahlreiche Goldstifte eingelassen wurden (STRAHM 1972, FURGER u. MÜLLER 1991, 107). Zumindest belegen auch für Mittel- und Westeuropa Gravierungen, Zierlinien und Bohrungen auf frühbronzezeitlichen Bronzefunden allgemein verbreitete werkzeugtechnische Kenntnisse, die als Voraussetzungen für die an der Himmelsscheibe durchgeführte Technik der Tauschierplattierung gelten können.
Um Material in der Scheibe so zu verdrängen, dass eine Rille entsteht, diese für ‚Einlegearbeiten‘ vorzubereiten und schließlich die Motive einzuklemmen, wurden Meißel, Stichel und Punzen zusammen mit Hämmern verschiedenen Gewichts verwendet (Abb.2).
Der Umriss des jeweiligen Motivs wurde auf die ausgeschmiedete Scheibe mit einem etwa 1 - 2 mm geringerem Durchmesser übertragen. Die ersten ‚Schnitte‘ sind senkrecht in dieser Konturlinie geführt worden (Abb.9).
Abb.10 Unterschneiden der Oberfläche mit einem BronzestichelDie so entstandene senkrechte Rille diente an der Außenseite der Kontur als Widerlager für stichelförmige Werkzeuge mit Schneidenbreite von 2 - 3 mm und einem Schneidenwinkel von etwa 55 - 60 °. Die Stichel werden hier jedoch nicht spanablösend benutzt, sondern unterschneiden lediglich das Oberflächenmaterial nach außen verdrängend so, dass die Kontur unter der Oberfläche vergrößert wird (Abb.10).
Abb.11 Brechen der Kante der inneren Konturlinien mit einer Bronzepunze In diese Unterschneidung wird das Motiv mit einem stumpfen Stichel hineingetrieben (Abb.11). In der Experimentierphase benutzten wir anstatt des Goldes ein Tiefzieh-Messing, das in der Farbe und der Verarbeitung dem Gold sehr nahe kommt. Es hat sich gezeigt, dass es von Vorteil ist, die verbliebene innere Konturlinie vorher mit einem punzenartigen, stumpfen Werkzeug zu brechen (Abb.12), damit das eingelegte Motiv beim Einklemmen nicht abgeschert wird.
Abb.12 Einarbeiten der Goldauflage mit einem stumpfen BronzestichelFür den Vorgang des Festklemmens der Motiveinlagen benutzten wir ebenfalls eine abgeflachte Punze, wobei das Festklemmen größerer Motive auch mit gezielten Schlägen eines kleinen Hammers erfolgen kann. Das Einklemmen vollzieht sich in mehreren Durchgängen, wobei das Grundmaterial wieder nahezu eben zur Gesamtfläche gebracht wird. Bei dieser Arbeit kommt es darauf an sehr vorsichtig ans Werk zu gehen, da ein Schlag zuviel bedeuten kann, dass das Material des Motives wieder abgeschert wird.
Die unterschneidenden, stichelartigen Werkzeuge behalten ihre Schnitthaltigkeit (s.o.) etwa für Arbeitsvorgänge von maximal 3 - 4 cm Länge und müssen danach nachgeschärft werden. Hieraus resultiert ein hoher Arbeitsaufwand zur Wiederherstellung der Arbeitsflächen der schneidenden und verdrängenden Werkzeuge, der parallel zum eigentlichen Fertigungsprozess der Scheibe ausgeführt werden muss. (Abb.13 a-d)
Abb.13a. Stichel nach dem Anschleifen Abb.13b. Stichel nach ca. 2 cm Arbeit Abb.13c. Stichel nach ca. 4 cm Arbeit Abb.13d. Stichel nach ca. 8 cm Arbeit
Der Arbeitsvorgang des Unterschneidens muss mehrmals wiederholt werden, um eine Unterschneidung mit der nötigen funktionalen Tiefe von etwa 2 mm bei den kleinen und bis zu 3 mm bei den großen Motiven zu erreichen. Durch das Verdrängen des Materials wird die Bronze der Scheibe im Arbeitsbereich erneut hart und damit schwieriger zu bearbeiten.
Bei den großen Ornamenten entstehen bei den dargestellten Arbeitsschritten Spannungen in der Bearbeitungszone, die dazu führen, dass sich die Scheibe erneut verwerfen kann. Der Bereich musste erneut erhitzt werden, um dem Werkstück die Spannung zu nehmen und es ausrichten zu können. Es hat sich gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, diesen Prozess durchzuführen, wenn schon Motive auf der Scheibe angebracht worden waren. Diese wurden in unseren Versuchsreihen sonst teilweise wieder aus ihrer Führung gezogen. Hieraus resultierte, dass wir die Vorarbeiten, das Unterschneiden und Aufwerfen des später klemmenden Grates für alle Motive in einem Zug durchführten, dann der Scheibe durch Erhitzen die Spannungen nahmen und sie wieder ausrichteten, um zuletzt alle Motive wiederum in einem Zug, anzubringen. Für die größeren in den Nutzungsphasen II bis V (MELLER 2004, 29) nachträglich einzeln angebrachten Motive, ist ein partielles Erhitzen durch das gezielte Auflegen von glühenden Kohlen zu erwägen. Entscheidend bei diesen Einlegearbeiten ist es jedoch, dass während des gesamten Vorganges das jeweilige Motiv fest fixiert sein muss, um nicht aus den schon geschlossenen und klemmenden Bereichen herausgerissen zu werden.
Resümee
Abb.14 Nachbau (Teilbereiche) der Himmelsscheibe von NebraWir zollen unseren prähistorischen Vorbildern Respekt für diese Arbeit, an deren Fertigungsprozesse wir uns in Versuchsreihen nur annähern konnten. Die von uns für das Landesmuseums für Vorgeschichte Halle begleitend zur Ausstellung „Der geschmiedete Himmel. Die weite Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren“ gefertigten Himmelsscheiben (z.B.: Abb.14) tragen weitgehend bis ins Detail die gleichen makroskopischen Arbeitsspuren wie das Original. Wir können uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier nur Aspekte eines Fertigungsmodells vorstellen. Die sog. ‚Experimentelle Archäologie‘ kann in der Regel unsere Vergangenheit nicht wieder erlebbar machen, sie kann jedoch annähernde Möglichkeiten aufzeigen, die es zu verdichten gilt.
Abbildungsnachweis
- Abb. 1 Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Foto von Juraj Lipták
- Abb. 2 - 14 Claus-Stephan Holdermann und Frank Trommer
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